Martin Hakan Weigl - Gesellschaftskritische Kunst von Martin Hakan Weigl

Über quo vadis

Der Anlass zur Auseinandersetzung mit dem Thema „Europa“ war der Gedanke an einen geeinten, föderalistischen Kontinent. Ist Europa bloß einer von fünf Kontinenten auf dieser Erde oder tatsächlich eine Idee und wie gehen wir dann mit dieser Idee um bzw. was machen wir daraus?

Die Arbeiten mit dem Serientitel „quo vadis“ sollen eine Momentaufnahme sein und zur Reflexion über Europa einladen. Mit diesem Titel verbinde ich persönlich natürlich auch die Frage nach meiner eigenen Reise in meinem Leben, bzw. in der Kunst. Vor allem jedoch sind die Arbeiten eine kritische Auseinandersetzung, keine bloße Verherrlichung einer föderalistischen Union, trotz meiner Sympathie für diesen Gedanken. Dieser Gedanke und die Faszination dafür existieren schon lange, wie zum Beispiel bei Victor Hugo. Der in seiner Rede beim Pariser Friedenskongress 1849 geäußerte und sicherlich durch die damals noch jungen USA inspirierte und idealistische Gedanke ist heute, mit Ausnahmen, wie der Einführung einer gemeinsamen Währung oder der Aufhebung von Passkontrollen, immer noch nicht richtig umgesetzt worden. Gegenwärtige Probleme, wie Bankenkrisen, nationalistischer Egoismus, Identifikations- bzw. Zugehörigkeitsfragen, Bürokratie, sowie visionslose und begeisterungsunfähige Politik führen bei der Mehrheit der Menschen zur Verunsicherung oder zum Verdruss. Viele verbinden zu wenig Positives mit der europäischen Sache, sehen sich in erster Linie nicht als Europäer. Die EU bleibt für viele ein abstraktes Konstrukt, ein bürokratischer Irrgarten, eine Wirtschaftszweckgemeinschaft oder als etwas, dass einem nicht das Gefühl des sicheren Zuhauses gibt...dabei ist es unser aller Zuhause! Mir gefällt trotz all dieser Sorgen oder meinem Frankfurter Lokalpatriotismus der Gedanke an die „Vereinigten Staaten von Europa“ und zu sagen „ich bin Europäer“. Dies zu sagen, schließt das andere nicht aus, denn ich fühle mich immer noch meiner Geburtsstadt verbunden und bin Frankfurter, Deutscher, der mütterlicherseits Wurzeln in der Türkei hat und wenn ich weiter zurückgehe u.a. auch in Polen oder Tschechien. Verschiedene Wurzeln, verschiedene Einflüsse, so wie bei vielen anderen Menschen auch.

Der für mich bedeutendste Aspekt ist, dass unsere und die jüngere Generation in Friedenszeiten leben. Mit Ausnahme des mittlerweile zerfallenen Ostblocks und des Jugoslawien-Krieges während der 1990er Jahre haben Europäer hier weder Krieg, noch Unterdrückung am eigenen Leib erfahren und leben auch nicht in einem totalitären System. Ich kann mich an die letzten Jahre des Kalten Krieges erinnern, an hier stationierte US-Militärs, Sirenen-Probealarm oder auch an Besuche von Verwandten aus der ehemaligen DDR, wobei ich mich als kleiner Junge anfangs fragte, ob wir „drüben“ denn nur ältere Verwandte haben. Ich stelle mir vor, dass meine Eltern Sorge hatten, dass Deutschland bzw. Europa erneut Schauplatz eines, dieses Mal nuklearen Krieges werden konnte. Diese Sorgen müssen wir uns heute zum Glück nicht machen. Dafür haben wir andere. Jedoch die Idee Europa für gescheitert zu erklären und nicht weiter Vorarbeit zu leisten, sowie das was sich im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt hat nicht weiter mitzugestalten wäre der falsche Weg. Wenn wir in der Geschichte zurückblicken, sollten wir erkennen wohin Teilung, Ausgrenzung, Isolation, etc. führen. Dies ist keine Alternative für die Zukunft. Die Politik aber auch wir alle müssen darauf achten, dass die jetzigen Ängste nicht länger der Nährboden von Figuren wie Le Pen, Wilders, Orbán oder Lucke bleiben.

Auch aus wirtschaftlichen (nicht machtpolitischen) Gründen muss Europa mit einer Stimme sprechen. Wären die einzelnen europäischen Staaten nicht chancenlos? Würden die Probleme der Menschen im Vergleich zu den jetzigen nicht noch viel größer werden?

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Verantwortung des Kontinentes. Einerseits die gegenüber nachkommenden Generationen. Unser Glück ist es doch, dass es früher Menschen mit Weitblick, Mut, Engagement gab. Wir könnten heute genauso gut in einer Monarchie, Diktatur oder als kleine Grüppchen in der Ödnis leben. Andererseits haben wir auch eine Verantwortung gegenüber dem Nachbarkontinent Afrika. Aus historischen, geopolitischen und auch wirtschaftlichen Gründen müssen wir dafür sorgen, dass Afrika nicht mehr ausgebeutet wird und Menschen ein lebenswertes Leben mit Zukunftsperspektiven führen können. Arrogante Politik, Ausbeutung förderndes Konsumverhalten, hoch aufgerüstete Grenzen und ein Mittelmeer als Grab darf sich der Kontinent, der sich auf „liberté, égalité, fraternité” beruft und sich mit Aufklärung, Humanismus, etc. rühmt nicht leisten.

Uns sollte beschäftigen, wie die Zukunft unseres Kontinentes aussehen könnte, welche Folgen jetzige Entscheidungen der Volksvertreter und die Einstellung der Bevölkerung nach sich ziehen könnten? Ist es besser den nationalen Egoismus oder den Integrationsprozess zu forcieren? Ganz im Sinne der namens-gebenden Sage aus der griechischen Mythologie, denn Europa kommt, wenn auch zugegebenermaßen nicht ganz freiwillig, in dieser Erzählung aus dem Osten (Phönizien) in den Westen (Kreta), gibt dem Kontinent ihren Namen und ihre Kinder. Vielfältigkeit der Wurzeln und die Verbindung verschiedener Kulturen...vielleicht sind diese, statt Christentum oder neuerdings Karl der Große, die gemeinsamen Nenner für uns? Welches Vorbild könnten wir mit unserem Kontinent schaffen? Vielleicht irgendwann doch eine Einheit, mit dem Ziel einer, in ferner Zukunft liegenden und heute noch utopisch klingenden, globalen Union, die sich dann zurecht auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit berufen kann?

Martin Hakan Weigl
verfasst 2012 - 2014 (quo vadis, 1. Zyklus)

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